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Frankreich: Mélenchons Antisemitismus von links

Die Nahostkrise verschiebt in Frankreich die politischen Fronten. Marine Le Pens rechte Partei steht an der Seite Israels, der Führer des Linksbündnisses dagegen bedient antisemitische Vorurteile.

Frankreich: Mélenchons Antisemitismus von links

Publié : il y a 2 ans par Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH dans Politics

Die Nahostkrise verschiebt in Frankreich die politischen Fronten. Marine Le Pens rechte Partei steht an der Seite Israels, der Führer des Linksbündnisses dagegen bedient antisemitische Vorurteile.

Frankreich erlebt angesichts der Nahostkrise eine Umkehrung der historischen politischen Positionen zum Antisemitismus. Der rechte Rassemblement National (RN) hat unter Führung Marine Le Pens mit der Parteigeschichte gebrochen, setzt sich für den Schutz der jüdischen Mitbürger vor Übergriffen ein und stützt Israel „vorbehaltlos“ in seinem Kampf gegen den Terror der Hamas.

Die dominierende Partei im linken Milieu, La France Insoumise (LFI), verweigert sich hingegen einer Verurteilung des Terrors, bezeichnet die Hamas als Widerstandsbewegung und entsendet unterschwellige antisemitische Botschaften. Davon zeugt der jüngste Kommentar von Parteigründer Jean-Luc Mélenchon zu der propalästinensischen Demonstration am Sonntag in Paris, bei der Sprüche wie „Israel zieh ab, Palästina gehört dir nicht!“ und „Israel Mörder, Macron Komplize“ skandiert wurden. Kurz vor dem Besuch Präsident Emmanuel Macrons an diesem Dienstag in Israel ist die innenpolitische Auseinandersetzung in Frankreich aufgeheizter denn je.

Der dreimalige Präsidentschaftskandidat Mélenchon schrieb zu Aufnahmen der propalästinensischen Demonstranten: „Das hier ist Frankreich.“ Die Präsidentin der Nationalversammlung, Madame Braun-Pivet, „campiere“ währenddessen in Tel Aviv, „um zu Massakern zu ermutigen“, fügte Mélenchon an. Sie dürfe nicht „im Namen des französischen Volkes“ sprechen.

Die 52 Jahre alte Präsidentin der Nationalversammlung von Macrons Partei Renaissance war mit einer parteiübergreifenden Parlamentarierdelegation in Israel, um ihre Solidarität zu bekunden. Wie sie zuletzt beim 60. Jahrestag des Elysée-Vertrages in der Sorbonne erzählte, stammt sie aus einer jüdischen Familie. Ihre Großmutter floh vor den Nationalsozialisten aus München, ihr Großvater aus Polen. Sie fanden Schutz in Nancy. Die Geschichte der Vernichtung und der Lager (französisch: camps) hat für sie eine besondere Bedeutung. „Monsieur Mélenchon hat sicherlich nicht zufällig das Wort camper gewählt“, sagte Braun-Pivet am Montag im Radiosender France Inter.

Antisemitische Wortspiele werden inzwischen im linken Milieu geduldet. Zuletzt luden die Grünen bei ihrer Tagung zum Ende der Sommerpause den Rapper Médine ein, der sich über die Essayistin Rachel Khan, Enkelin von Deportierten, als „res­KHANpée“ („Entkommene“) mokierte. Die grüne Nationalsekretärin Marine Tondelier fand den Kalauer nur „ungeschickt“ und grenzte ihn vom heimtückischen Antisemitismus der extremen Rechten ab. Aber die Grenzlinien verlaufen nicht mehr so eindeutig, wie Tondelier es vorgibt.

Marine Le Pen hat seit Beginn ihrer Machtübernahme in der Partei 2011 klargemacht, dass sie die antisemitische Gesinnung ihres Vaters nicht teilt. Sie hat sich von Parteimitgliedern getrennt, die diesen Kurs nicht mittragen. Eine Stütze war dabei ihr damaliger Lebensgefährte, Louis Aliot, der heute Bürgermeister von Perpignan ist. Aliot erwähnt häufig seinen jüdischen Großvater, der nach der Unabhängigkeit Algerien ver­las­sen muss­­­te.

Le Pens Partei nimmt fortan am Gedenken an die Judenverfolgung in Frankreich aktiv Anteil. Es gebe „eine Pflicht zur Erinnerung angesichts der abscheulichsten Ausdrucksform des Antisemitismus“, schrieb Marine Le Pen. Sie fühle sich „zu größter und unnachgiebiger Entschlossenheit in dem nie endenden Kampf gegen diese Geißel“ verpflichtet. Ihr Kampf richte sich auch gegen „die neuen Hassprediger, die heute in Frankreich unsere jüdischen Mitbürger ins Visier nehmen und angreifen“, so Le Pen. Der beste Weg, die Herausforderung des Antisemitismus zu lösen, „der unsere jüdischen Mitbürger dazu bringt, Stadtviertel zu verlassen“, bestehe darin, „die islamistische Ideologie in unserem Land endgültig auszurotten“.

Le Pen unterscheidet dabei stets zwischen Islamismus und Islam, was ihr im Präsidentschaftswahlkampf 2022 den Vorwurf von Innenminister Gérald Darmanin einbrachte, „zu schlaff“ im Umgang mit dem Islam zu sein. Doch Le Pen überlässt es ihrem Konkurrenten von rechts außen, Eric Zemmour, den Islam als „unvereinbar“ mit der Republik darzustellen. Der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella äußerte in einem Kommuniqué die vorbehaltlose Unterstützung für Israel. RN-Abgeordnete nahmen an der Solidaritätskundgebung für Israel in Paris teil. „Das sind alles sehr symbolische Schritte, die den Rassemblement National weiter normalisieren“, urteilt der Leiter der Beobachtungsstelle für „politische Radikalität“, Jean-Yves Camus.

Der offen antizionistische Kurs der Linkspartei zerreißt indessen das Linksbündnis Nupes mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten. Mélenchon fühlt sich von der Vorstellung getragen, dass es eine linke Mehrheit für seine antisemitisch durchtränkten Thesen insbesondere bei den oftmals zu Wahlenthaltung neigenden Wählermassen in der Banlieue gebe.

Mélenchon rechnet mit einer frühzeitigen Auflösung der Nationalversammlung, wie er schrieb. Er will offensichtlich mit seinen Sprüchen für ein „Freies Palästina“ neue Wähler gewinnen. Bislang hat er keine Anteilnahme für die Familien der 30 französischen Opfer der Hamas-Attacken in Israel geäußert. Er verurteilte hingegen „die Kriegsverbrechen Netanjahus“. Die Sozialisten zieren sich, bei dem durchschaubaren Spiel mitzumachen. Sie haben das Bündnis offiziell nicht verlassen, aber „ein Moratorium“ verhängt. Die Grünen sind ähnlich verzagt. Sie schrieben einen Brief an die 151 Nupes-Abgeordneten, „um das Chaos zu vermeiden“. Die Kommunisten stimmten für eine „neue Art von Union“.


Les sujets: Social Issues, Jewish, France

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